Er steht auf der Deichkrone und trägt die Inschrift:
Hier ertrank am 7. Juli 1923
Carl Goretzko
ein braver Mann, der 33 Menschen
vom Tode des Ertrinkens gerettet hat.
Ihm und allen anderen
unbekannten Lebensrettern
des Muldenlandes zum Gedächtnis.
Gestiftet von Wurzener Heimatfreunden
am 7. Juli 1933
Heute, knapp 100 Jahre später wüsste, so glaube ich, niemand mehr etwas über diesen Mann, wenn nicht Richard Klinkhardt, der bekannte Wurzener Heimatforscher, Goretzkos Lebenslauf erforscht und in einem Rundblickheft 1980 veröffentlicht hätte. Wer war dieser Goretzko?
Er stammte aus Oberschlesien und wird als kräftiger breitschultriger Mann beschrieben. Als Jugendlicher ging er zur Handelsmarine und in einer Werft muss er sich zu dieser Zeit die Fachkenntnisse eines Kesselschmiedes angeeignet haben, so vermutet Klinkhardt. Bis zu seinem Tod arbeitete er als Kesselschmied in drei verschiedenen Wurzener Firmen. Im Jahre 1913 heiratete Carl Goretzko eine gleichaltrige junge Frau (27) aus Wurzen. Kinder sind aus dieser Ehe nicht hervorgegangen. Seine Frau brachte aber eine Tochter mit in die Ehe, die er wie sein eigenes Kind annahm und erzog. Carl Goretzko war Mitglied der Kommunistischen Partei und hat sich als solches auch aktiv betätigt. Die Ortsgruppe Wurzen der KPD wurde im Juli 1919 gegründet und er muss ihr gleich danach beigetreten sein, denn an seinem Grabe sprach kein Geringerer, als Albert Kunz.
Der Gedenkstein nennt 33 Menschen, die Goretzko vor dem Tode des Ertrinkens gerettet hat. Kurt Bergt, damals Leiter des Wurzener Heimatmuseums und Initiator für die Aufstellung des Denkmales wird die Zahl gesprächsweise von Goretzko erfahren haben, mit dem er gut bekannt war. Aufzeichnungen darüber bestehen jedenfalls nicht. Um das Jahr 1980 konnte Richard Klinkhardt Goretzkos Stieftochter, die noch in Wurzen wohnte, befragen. Sie konnte sich auch noch gut an eine andere Rettungstat erinnern: Es war an einem Weihnachtstage nach dem 1. Weltkrieg, vermutlich 1920, als Goretzko mit Frau und Tochter zu Besuch seiner Eltern in Oppeln ankam. Beim Überschreiten der Oderbrücke fuhr gerade ein Schleppkahn unter ihr durch. Plötzlich ein Aufschrei. Ein 13-jähriges Mädchen aus der Familie des auf dem Kahn wohnenden Schiffbesitzers, war vom Deck in den Fluss gestürzt, als es hinter ihrem kleinen Hund herrannte. Ehe sich Frau und Tochter versahen, hatte Goretzko seinen Mantel abgeworfen, sprang von der Brücke in die eiskalte Oder und rettete das Mädchen.
Doch nun zum Unglück an der Mulde in der Nähe des Gedenksteines.
Anfang Juli 1923 herrschte eine große Hitze. Kein Wunder, dass sich viele Einwohner von Wurzen, Bennewitz und der anderen Dörfer auf beiden Ufern der Mulde einfanden, um sich am und im Wasser Abkühlung zu verschaffen. Damals führte die Mulde noch sauberes Wasser, während sie heute nicht unbedingt zum Baden einlädt. Sie war aber gefährlich wegen der sich örtlich und zeitlich ändernden Tiefe und wegen der sogenannten „Drehlöcher“. Das sind Strömungswirbel, die auch einen Schwimmer in die Tiefe ziehen können. Schwimmer, die darauf gefasst waren, kämpften nicht vergeblich gegen den Sog an, sondern tauchten mit ihm unter, schwammen unter Wasser seitlich heraus und gingen wieder nach oben. Wie das „Wurzener Tageblatt“ zum Unglück vermerkte, gab es alljährlich mehrere Todesopfer in der Mulde durch Ertrinken. Hinzu kommt, dass damals viele Menschen nicht schwimmen konnten, heute ist das zum Glück anders geworden.
Carl Goretzko war einer von den geübten Schwimmern, die wiederholt im Gefahrenfalle hinzusprangen und die sich, auch wenn es zu spät war, bemühten die Ertrunkenen zu bergen. So hatte Goretzko bereits drei Tage hintereinander nach vier ertrunkenen Opfern in der Mulde gesucht, zuletzt am Unglückstag nach einem 20-jährigen Mann. Goretzko war sicherlich erschöpft, als ein weiterer Unfall eintrat.
Der 19-jährige Kurt Kuhne aus Wurzen geriet in Not und rief um Hilfe. Carl Goretzko, der sich mit Frau und Tochter am linken Muldenufer unterhalb der Schießmauer ausruhte, sprang sofort in die Mulde um Hilfe zu leisten. Dann rief er: „Bildet eine Kette, ich habe ihn!“ Von den vielen Badenden und guten Schwimmern, die erschrocken und ängstlich an beiden Ufern standen, sprang als einzige eine Frau hinzu, konnte jedoch allein nicht helfen. Inzwischen klammerte sich der Ertrinkende in seiner Todesangst so an den Retter, so dass beide untergingen und ertranken. Ihre Leichen wurden drei Tage später zwischen Grubnitz und Nepperwitz gefunden. Carl Goretzko wurde nur 37 Jahre alt.
Inzwischen ist der Gedenkstein stark beschädigt, indem er im unteren Bereich durchgerissen ist. Auf Fotos ist nachweisbar, dass es nicht während des Baues des neuen Deiches passiert ist. Ich vermute, bei der Grasmahd wurde er nach dem Jahre 2013 mit der Mähmaschine angefahren oder mit ihrem langen Ausleger getroffen.
(Quelle: Der Rundblick, Heft 1 von 1980,
Seiten: 38 bis 40)
Günther Geißler, 2018