das die Stadtmühle einschließlich Bäckereiabtei-lung und viele Wohnhäuser der Bleiche vernichtete. Sehr schnell wurde ein neues Mühlenprojekt ausgearbeitet und schon wenige Wochen nach dem Brand mit dem Neubau begonnen. Heute ist diese Schnelligkeit für so ein Projekt für uns nicht mehr vorstellbar. Um Platz zu gewinnen wurden die Wasserläufe des Mühlgrabens verändert, den noch verbliebenen Bewohnern der Bleiche gekündigt und deren Häuser abgerissen, da das gesamte Gelände für die Mühlenneubauten benötigt wurde.
Das als Weizenmühle bezeichnete neue Gebäude wurde im Dezember 1920 und das als Roggenmühle bezeichnete im Februar 1925 übergeben. Aus Brandsicherheitsgründen wurden beide Gebäude in der damals noch neuen Stahlbetonbauweise gebaut und mit einer
Sprinklerschutzanlage ausgestattet. Die Türme, die beiden Gebäuden ein kirchen- bzw. domartiges Aussehen verleihen, waren technisch bedingt, um darin die riesigen Wasserhochbehälter für die Sprinkleranlage unterzubringen. Durch den für den Bau benötigten Kies entstand in der Nähe eine Grube. Diese Grube füllte sich im Laufe der Zeit mit Wasser und wurde seit dem von den Wurzener Einwohnern als Gura-See bezeichnet. Die Bezeichnung „Gura“ ergibt sich aus jeweils zwei Anfangsbuchstaben des Vor- und Nachnamens des damaligen Generaldirektors Gustav Rathgen.
Mit Baubeginn des Kanales für das Wasserkraftwerk in Canitz im April 1924 endete die für uns heute nicht mehr vorstellbare Idylle im Bereich des Mühlgrabens. Ihm wurde regelrecht das Wasser entzogen, denn er verlor den direkten Anschluss an die Mulde. Der Kanal wurde gebaut und der Mühlgraben erhielt sein Wasser aus dem Kanal über zwei eingebaute Schütze, mit denen man die abfließende Wassermenge regulieren konnte. Täglich wurden nur noch ca. 17.000 m3 Wasser in den Mühlgraben gelassen, denn das andere Wasser wurde für das Wasserkraftwerk in Canitz benötigt. Von der in den Mühlgraben gelassenen Wassermenge durften pro Tag die Papierfabrik 1.800 m3, die Wollwäscherei 200 m3, die Teppichfabrik 5.000 m3 und die Filzfabrik 350 m3 als Brauchwasser entnehmen. Für den Verlust der Wasserkraft, mit der die Krietschwerke ihre Turbinen betrieben hatten, musste der Freistaat Sachsen, unter dessen Regie der Kanal- und Kraftwerksbau lief, 600.000 Mark Entschädigung zahlen.
Während der Kanalbauarbeiten wurde ein Großteil der Nebenarme des Mühlgrabens mit Aushub verfüllt. Das 25 bis 30 Meter breite Mühlgrabenbett im Bereich der Filzfabrik und im Gelände der Krietschwerke blieb unverändert und füllte sich auf Grund der geringen Fließgeschwindigkeit des Wassers immer mehr mit Schlamm. Zur Sicherstellung der Brauchwasserversorgung der am Mühlgraben anliegenden Betriebe baute man 1947/48 einen verengten Graben in das breite Mühlgrabenbett ein. Das vorhandene Ufer entlang der Filzfabrik blieb bestehen, das andere Ufer wurde neu errichtet. Die Stabilisierung des anderen Ufers im etwa 1,70 Meter hohen Schlamm erwies sich als äußerst schwierig. Den Schlammbereich des neuen Ufers stockte man mit Schlacke aus den Kesselhäusern der Betriebe bis fast Oberkante Gelände auf und versah den Rest mit einer Schicht Muttererde. Später wurden im Bereich Filzfabrik und dem damaligen Nahrungsmittelkombinat „Albert Kunz“ (ehemals Krietschwerke) weite Teile des Mühlgrabens verrohrt und zugeschüttet, sodass heute davon nur noch kümmerliche Fragmente offen zu Tage treten
Auch im Oberlauf musste wegen des Kanal- und Kraftwerkbaues in das Flussbett des Mühlgrabens eingegriffen werde. Ursprünglich mündete er nordwestlich von Nischwitz, ungefähr auf gleicher Höhe gegenüber dem heutigen Südende des Schusterbusches in die Mulde. Diese Verbindung wurde unterbrochen und man führte den Mühlgraben in einem künstlichen Bett, entlang des neuen Kanales, seitlich am Kraftwerk vorbei in dessen Untergraben. Auch heute ist noch erkennbar, dass der Mühlgrabenverlauf ab dieser Stelle bis hinter das Kraftwerk keines natürlichen Ursprunges ist, auch wenn an dessen Lauf inzwischen ältere Bäume stehen.
Günther Geißler
Quellen:
„Die Wurzener Industrie 1797 – 2002“
von Richard Klinkhardt, Sax-Verlag Beucha, 2005
„Über die Mulde“ Zur Geschichte der Fähren und Brücken bei Wurzen,
von Volker Jäger, Sax Verlag Beucha, 2006
Der Mühlgraben heute. Blick von der B6 zum ehemaligen Stadthafen.