Ab 1880 stieg der Strombedarf infolge der industriellen Revolution kontinuierlich an. In den entstehenden Kraftwerken kam es anfangs zu einer sehr unausgeglichenen Auslastung v.a. durch den stark unterschiedlichen Stromverbrauch zu Tag- und Nachtzeiten. Um der Forderung nach Versorgungssicherheit beizukommen, wurde dem Ungleichgewicht mit der voranschreitenden Vernetzung der Kraftwerke untereinander begegnet, auch über große Entfernungen durch Überlandzentralen. So entwickelten sich die ersten Vorläufer der Verbundnetze, wie wir sie heute kennen.
In den Landgemeinden des Wurzener Umlandes wurde in den Entstehungsjahren der Überlandzentralen der Wunsch immer lauter, an dieser Entwicklung teilzunehmen. Der Kantor Arthur Vogel aus Lüptitz förderte aktiv diesen Gedanken, indem er in seinen zahlreichen Vorträgen auf die Vorteile und Zweckmäßigkeit des elektrischen Stromes hinwies und diesen so in die breite Öffentlichkeit trug. Infolge dessen kam es am 18. März 1909 in Wurzen, im Einvernehmen mit dem Verband der landwirtschaftlichen Genossenschaften im Königreich Sachsen, zur Einberufung einer Gründungsversammlung und damit zur Gründung und Errichtung der „ Elektrizitätsversorgung für Wurzener Land „ ( EVW ) als eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht.
Die Gründungsversammlung wurde von 24 Herren besucht. Aus unseren Ortschaften waren nachstehende Herren beteiligt:
- Privatmann Wilhelm Hoyer, Deuben
- Gemeindevorstand W. Reinhardt, Bennewitz
- Zigarrenfabrikant A. Kretzschmar, Bennewitz
- Fleischermeister Otto Bennewitz, Bennewitz
- Bäckermeister M. Teichert, Bennewitz
- Gastwirt Robert Gelbhaar, Deuben
- Gutsbesitzer Robert Wenzel, Nepperwitz
In den Vorstand wurde unter anderem der Gemeindevorstand Reinhardt aus Bennewitz und als Mitglied des Aufsichtsrates der Privatmann Hoyer aus Deuben gewählt.
Im Jahr 1909 sind der EVW 285 Mitglieder beigetreten. Die Anzahl steigerte sich bis 1933 auf 1985 Mitglieder.
Der technische Ausbau eines umfangreichen Hoch- und Niederspannungsleitungsnetzes mit Transformatorenstationen war nötig, um eine einwandfreie Lieferung des Stromes zu gewährleisten.
Im August 1909 wurden zunächst von der damaligen Industriebahn Wurzen GmbH die schon vorhandenen Hochspannungsleitungen, Ortsnetze und Trafostationen übernommen. Dazu gehörte das bereits mit Ortsnetz und Trafostation an das Stromnetz angeschlossene Dorf Deuben.
In den Folgejahren wurde der Ausbau und Inbetriebnahme der Stromversorgung auch in unseren Dörfern vorangetrieben, so in den Jahren:
1910 die Hochspannungsleitungen von Deuben nach Bennewitz, Grubnitz bis Nepperwitz, die Ortsnetze in Bennewitz und Nepperwitz , sowie die Trafostation in Nepperwitz,
1911 erfolgte der Ausbau der Hochspannungsleitungen, Ortsnetze und Bau der Trafostationen verwiegend in den Dörfern und Steinbrüchen östlich der Mulde,
1913 die Hochspannungsleitung Schmölen, das Ortsnetz Grubnitz, sowie die Trafostationen Ottendorf und Grubnitz ,
1917 das Ortsnetz und Trafostation Schmölen.
Im Zeitraum 1920- 1923 erhielt die Gemeinde Altenbach Anschluss an das Stromnetz.
In den 1920er Jahren sind v. a. der Ausbau der Ringleitung und die Verstärkung des gesamten Hoch- u. Niederspannungsnetzes einschließlich Trafostationen zu erwähnen.
Bis 1912 erfolgte die Stromlieferung durch die Industriebahn Wurzen GmbH.
In der Folge wurde im Einvernehmen mit den zuständigen Behörden das Versorgungsgebiet der EVW abgegrenzt und am 27. März 1912 ein Stromlieferungsvertrag zur ausreichenden Stromversorgung mit den Landkraftwerken Leipzig- Aktiengesellschaft Kulkwitz abgeschlossen.
Die Verrechnung des Stromverbrauchs niederspannungsseitig erfolgte bis zum 1. Oktober 1923 ab Trafostation der einzelnen Ortschaften.
Die Verrechnung des Stromes hochspannungsseitig, erfolgte ab diesen Zeitpunkt für die gesamte Abnahme in der Umspannstation Bennewitz.
Der Stromverbrauch für die einzelnen Abnehmer wurde gemäß der Stromlieferungs- und Anschlussbedingungen berechnet, welche in der Hauptversammlung am 26. Mai 1909 erstmalig genehmigt wurden. Bis 1933 waren bereits 4500 Licht- und Kraftstromzähler zur Erfassung des Stromverbrauches im Bereich der EVW installiert.
Der Anschlusswert der EVW betrug im Jahr 1913 ca. 700 kW und steigerte sich bis 1933 auf 6000 kW.
Mit 37 Trafostationen versorgte die EVW zu diesen Zeitpunkt insgesamt 34 Gemeinden mit Strom sowie durch 18 Trafostationen, direkt an die Hochspannungsleitung angeschlossene Abnehmer.
Neben der Stromlieferung unterhielt die EVW eine Installationsabteilung, sowie ein Warenlager mit elektrischen Bedarfsartikeln zur Belieferung der Mitglieder.
Die Installation von Hoch- und Niederspannungsanlagen sowie alle erforderlichen Reparaturen wurden von dieser Abteilung selbst ausgeführt. Nur von der EVW zugelassenen Installateuren waren Arbeiten im Versorgungsbereich gestattet.
Die Versorgung unserer Ortschaften mit elektrischen Strom führte mehr oder weniger schnell zum Anschluss bzw. zur Installation in den privaten Haushalten, bäuerlichen Gütern und Werkstätten der Handwerker.
Gewiss gab es bei Einigen Vorbehalte und immerhin war das für manchen Grundstücksbesitzer nicht sofort eine erschwingliche Investition. In den oben angeführten Jahren des Aufbaues der Trafostationen und Ortsnetze brannte sicherlich schon kurz darauf in einigen Stuben das elektrische Licht.
Mit dem Stromanschluss veränderte sich das Leben und Arbeiten auch auf dem Lande rasant. Wurden die Wohnräume und Ställe bisher mit Petroleumlampen und Kerzen beleuchtet oder die Arbeiten in der Landwirtschaft und Handwerk manuell gestemmt, so eröffneten sich durch die Anwendung des elektr. Stromes ganz neue technische Möglichkeiten für ein komfortableres und produktiveres Leben.
Neben der elektr. Beleuchtung kamen immer mehr, von der Industrie hergestellte elektr. Haushaltsgeräte zur Anwendung. Der Elektromotor wurde nun auch in der Landwirtschaft und im Handwerk auf dem Lande als Antriebskraft eingesetzt.
Das Leben ohne elektr. Strom geriet schnell in Vergessenheit und weckt damals wie heute nostalgische Erinnerungen wenn mal der Strom ausfällt.
Diethard Sellka, 2018
Quellen:
Jubiläumsschrift: „EVW 25 Jahre Elektrizitätsversorgung für Wurzener Land 1909- 1934“
Wikipedia