Von den rund 3.600 Ortschaften, die um das Jahr 1300 in Sachsen vorhanden waren sind bis 1500 369 wüst geworden, was etwa 10% ausmacht. Der Nordwestteil Sachsens, das Wurzener Gebiet inbegriffen, ist das Hauptverbreitungsgebiet der Wüstungen. Einige Wüstungen wurden wieder von Wald überzogen (Mark Ottendorf). Die oftmals heute noch so genannten „Wüsten Marken“ tragen vielfach eigene Namen, in denen der Name des untergegangenen Dorfes als Flurnamen weiterlebt.
Es steht außer Zweifel, dass die Entsiedlung mit dem Einbruch der Pest nach Mitteleuropa im Jahre 1348 in engem Zusammenhang steht. Die aus Indien über Venedig eingeschleppte Pest verbreitete sich sehr schnell. Wo sie auftrat, raffte sie meistens einen großen Teil der Einwohner hin, ein Drittel oder die Hälfte. Gegen sie gab es kein vorbeugendes oder heilendes Mittel. Aus vielen Dörfern zogen die von der Pest verschont gebliebenen Menschen weg und füllten die Lücken in anderen Dörfern auf. Dabei waltete sicher nicht der bloße Zufall, sondern jeweils ein einsichtiger Grund. Die Ortswüstungen liegen in der Regel auf ungünstigem Boden, der entweder zu unfruchtbar, zu nass oder zu trocken war, so dass es die Bewohner vorzogen, auf günstigere Standorte umzusiedeln.
Sichere urkundlich belegte Nachrichten über die Ursachen und den Ablauf des Wüst werden sind bislang nicht ermittelt worden.
Vereinzelt handelt es sich auch um sogenannte Fehlkolonisation. Vor allem die während der Ostbesiedlung zugewanderten deutschen Siedler hatten anfangs oft auch Land mit weniger guter Bodenqualität oder in ungünstiger Lage in Besitz genommen. Oder die landwirtschaftlichen Erträge reichten nicht aus, um sich zu ernähren und die Abgaben an die Lehnsherren zu leisten.
Lautzschen: Ist eine Wüstung die unter gutsherrschaftlichem Einfluss entstanden ist (vermutlich Püchau und Nischwitz gemeinsam). Die Wüstung lag westnord-westlich von Nischwitz und nördlich von Dögnitz in der Aue. 1465 und 1470 wird Lautzschen in Schriftstücken mehrmals als Wusteney, desolates Landgut, oder wüstes Dorf genannt. 1730 wird eine Sondergemeinde in Nischwitz wegen Besitzes in Lautzschen genannt. Eine überlieferte Flurabgrenzung besagt, dass 1470 Flurstücke ans Domstift Wurzen, Schloss Püchau und später Rittergut Nischwitz gingen. Als Flurnamen gab es um 1835 „Die Lutzschige“, „Die Luchschn“ und „Lautzscher Mark“. In der Nähe gab es einen bronzezeitlichen Einzelfund und 1928 fand man einen Mauerrest.
Wenigmachern: Die ursprüngliche Wüstung liegt laut Ebert südlich von Lübschütz und südwestlich von Nepperwitz, könnte also etwas unterhalb dem heutigen Wenigmachern gelegen haben. Die Fluren Wenigmacherns weisen aber eine stattliche Größe von 263 Hektar auf.
Bereits 1284 wird in einem Schriftstück ein Landgut klein Machern ausgewiesen. Erst ab 1538 taucht der Flurname Wenigmachern auf. Klein Machern gehörte in kirchlicher und politischer Hinsicht zu Püchau, was aus einem Schreiben des Meißner Bischofs Nicolaus vom 12. November 1380 hervorgeht. Hiernach hatte klein Machern zur Erhaltung eines Altars in der Püchauer Kirche beizutragen und stand auch jederzeit unter der Lehnsherrschaft und Gerichtsbarkeit von Püchau. Der Wüstungsvorgang muss gemäß Ebert kurz nach dem Jahre 1400 eingesetzt haben. Der Grund des Wüst werdens konnte von Ebert nicht gefunden werden und kann seiner Meinung nach verschiedene Ursachen haben.
Im Heimatbuch von Schellhorn ist zu lesen: „Als die Hussiten im Jahre 1429 abermals im Kurfürstentum Sachsen einfielen, ist auch das Dorf Wenigmachern mit zerstört und eingeäschert worden. Die wenigen noch am Leben gebliebenen Einwohner zogen in die verschont gebliebenen benachbarten Dörfer.“ Leider hat Schellhorn nicht hinterlassen, welche Quellen er hatte, um zu dieser Annahme zu kommen.
In Messtischblättern von 1879 ist vom heutigen Wenigmachern noch kein Haus eingezeichnet. Erst in den Karten von 1907 sind am heutigen Ort drei Häuser zu erkennen. Gemäß Schellhorn wurde im Jahre 1904 das erste Haus im heutigen Wenigmachern erbaut.
Altes Dorf: Das alte Dorf ist eine Wüstung aus der Kolonisationszeit und liegt an der Flurgrenze südöstlich von Nepperwitz und nordnordwestlich von Deuben. 1574 werden in einem Schriftstück 3 Äcker im alten Dorfe aufgeführt. Zu diesem Zeitpunkt war das alte Dorf vermutlich schon seit langer Zeit wüst und die Felder wurden von den Bauern aus Nepperwitz Grubnitz und Deuben bewirtschaftet. 1785 tauchte auch der Name Dorfstatt als Flurname für dieses Gebiet auf.
Göhrendorf: Göhrendorf ist der neuere Flurname für dieses Gebiet. Der ursprüngliche Name war Gerndorf. Es lag westlich von Wurzen und östlich von Grubnitz in der Muldenaue. Laut Ebert hat der Wüstungsvorgang schon sehr zeitig eingesetzt und könnte eine Wüstung aus der Kolonisationszeit, also aus den Jahren zwischen 1150 und 1350 sein; eventuell noch früher. Die Felder dieser Flur gehörten nach 1700 weitestgehend Wurzener Bürgern. Sie mussten ihre Abgaben an das Wurzener Domstift abführen. Einen Zehnten erhielt sogar die Kirche in Nemt, was aber auf einer früheren Schenkung beruhte. In der wüsten Mark Göhrendorf wurden einige Siedlungsfunde aus slawischer und frühdeutscher Zeit entdeckt.
Truscow: Späterer überwiegend benutzter Name ist Trauschkau oder Trauschken. Truscow lag nordwestlich Wurzens unten am Urstromtalrand und ist eine Wüstung die unter gutsherrschaftlichen Einfluss entstand. Eine erste schriftliche Erwähnung Truscows gibt es aus dem Jahre 1114. Daraus geht hervor, dass Trauschkau schon 1114 an das Domstift Wurzen gelangte und ehemals ein Rittersitz war. Die Bewohner siedelten zu ihrem Schutz hinter die Stadtmauern. Nach 1300 aber findet sich erneut eine Sippe, die sich nach dem Gut bzw. nach dem Dorfe nennt und auch dort wohnte. Gut Trauschkau gelangt 1423 durch Verkauf vom Domstift an den Rat der Stadt Wurzen. Dreißig Jahre später tritt ein Sprössling des Geschlechtes von Trauschkau noch einmal hervor, um den Kauf der Stadt Wurzen anzufechten. Der Rat vergleicht sich mit demselben und verbleibt von nun an unbehelligt im Besitz des Gutsgeländes. Der Name „forwerk drauskaw“ (landwirtschaftl. Nebenhof Drauschkau) taucht noch einmal im Jahre 1464 in einem Schriftstück auf. Einige Jahre später, also noch im 15. Jahrhundert, dürfte laut Ebert der Wüstungsvorgang abgeschlossen gewesen sein. Von der Gemeindeflur Trauschkaus war indessen, vornehmlich nach Nischwitz zu, das meiste im Besitz des Domstiftes verblieben. Einen erheblichen Teil hiervon übereignete Bischof Johann v. Schleinitz für eine gewisse Geldsumme und jährlichen Zins im Jahre 1520 dem Handwerk der Fleischer in Wurzen. Bis in unsere Zeit haben sich die Namen Fleischer-drauschken“ und „Fleischeraue“ als Bezeichnung für dieses Gebiet erhalten.
Auch ein Bodenfund, der 1925 beim Bau der Wurzener Kläranlage gemacht wurde bezieht sich auf Trauschkau. Beim Bau wurde mittelalterliches Pfahlwerk freigelegt, das durch den Kies bis zum Mutterboden heraufreichte und einen Kreis von ungefähr 6 Meter Durchmesser ergab. Weiterhin wurden Scherben aufgefunden, deren Ursprungszeit im 14. Jahrhundert lag. Hiermit war möglicherweise eine Wohnstelle gefunden worden, die mit dem einstmaligen Trauschkau im Zusammenhang gestanden hatte.
Ottendorf: Ottendorf ist eindeutig eine fehlgegangene Kolonisationsgründung. Ursache war der nasse ungünstige Boden um damals erfolgreich Ackerbau betreiben zu können, denn unter ihm liegt eine mächtige Tonschicht. Die wüste Mark Ottendorf lag südwestlich von Bennewitz auf dem Terrassenrand des Urstromtales. Bereits im 13. Jahrhundert könnte laut Ebert der Wüstungsvorgang abgeschlossen gewesen sein.
Danach gehörten die Flurstücke der Mark Ottendorf, die größtenteils mit Wald bewachsen waren, verschiedenen Besitzern in Bennewitz, Deuben, Grubnitz, Nepperwitz, Pausitz und Altenbach. Sie waren dem Rittergutsbesitzer in Trebsen lehn- und zinspflichtig, das heißt, sie mussten von ihren Flurstücken gewisse Abgaben entrichten oder Dienstleistungen für das Rittergut erbringen. Obwohl die Flurstücksnutzer der Mark Ottendorf in verschiedenen Orten wohnten, betrachteten sie sich doch noch Jahrhunderte hindurch als eine Gemeinde und nannten sich untereinander Märker oder Markgenossen. Ihr Vorsteher, der Obermärker oder Holzgraf, war der Besitzer des Rittergutes in Trebsen. Auf ihm ruhte diese Würde erblich. Die Markgenossen hielten alljährlich Dienstag vor Johanni (Johannistag ist der 24. Juni) in Deuben bei einem Märker daselbst Kührtag ab. Da wurde die Rechnung abgenommen, über alle Angelegenheiten der Mark beraten und das Gemeindebier getrunken. Jeder hatte bei Nichterscheinen 5 Groschen Strafe zu entrichten. An einem Tag im Mai oder Juni wurde unter freiem Himmel im Wald ein Gerichtstag abgehalten. Der Gerichtshalter von Trebsen musste die Verhandlungen führen und darüber ein Protokoll aufnehmen. Die Märker brachten vor, was im Laufe des Jahres vorgefallen war, zum Beispiel, dass etliche auf anderen Fluren Tiere gehütet oder Holz gestohlen hätten. Das letzte Jahresgericht wurde 1838 abgehalten.
Die Mark Ottendorf hat seit 1932 eine vollkommene Veränderung durch zahlreiche Neubauten erhalten. Das Gelände wurde baureif erschlossen, Straßen und zahlreiche Ein- und Zweifamilienhäuser entstanden.
Sellnitz: Sellnitz lag westsüdwestlich von Nemt und südöstlich von Dehnitz am Urstromtalrand der Mulde. Das Sellnitz wüst wurde ist auf gutsherrschaftlichen Einfluss zurückzuführen und war Ende des 15. Jahrhunderts abgeschlossen. Die Abgaben mussten dem Wurzener Domstift zugeführt werden. Sellnitz hatte eine eigene kleine Kirche, die eine Filialkirche von Nemt war. In sie gingen auch die Oelschützer und die Bewohner der Sonnenmühle. Nachdem der Ort wüst wurde gingen die Oelschützer nach Nitzschka in die Kirche. Um 1870 standen noch Mauerreste der Kirche, die teilweise eine Höhe von 1,2 bis 4,0 Meter aufwiesen. Es muss ein kapellenartiger kleiner Bau gewesen sein. Aus mehreren Zeitepochen gab es Siedlungsfunde in diesem Gebiet.
Mischwitz: Mischwitz lag nördlich von Pausitz, am Urstromtalrand der Mulde in einer Erosionsrinne. Der Ort ist eine Wüstung die ebenfalls auf gutsherrschaftlichen Einfluss zurückzuführen ist. Es ist vermutlich der
Sattelhof Pausitz der bei der Wüstwerdung eine Rolle gespielt haben könnte. Erwähnt wird Mischwitz in drei Schriftstücken. Das erste Mal in den Jahren 1114, dann 1341 und in einem Schriftstück aus der Zeit um 1400. In einem weiteren Schriftstück aus dem Jahre 1477 stehen die Worte: Das wüste Dorf Mischwitz.
Günther Geißler, 2018
Quellen:
-„Geschichte Sachsens im Mittelalter“ von Karlheinz Blaschke – Union Verlag Berlin 1990.
„Bezeichnungen für einst verlassene Orte“ von Horst Naumann – LVZ vom 29.11.2010.
-„Das Wurzener Land“ von Wolfgang Ebert
Verlag von Julius Belz 1930
-„Heimatbuch zur Geschichte der Dörfer Bennewitz mit Schmölen, Deuben, Grubnitz und Nepperwitz von Gustav Schellhorn – Verlag von Gustav Jacob Wurzen 1938.
-„Mittelungen des Wurzener Geschichts-u. Altertumverein“ Band II, Heft 1, Kommissionsverlag von G. Delling 1914.
-„Die Wurzener Trauschken“ von Walter Koch LVZ 1962 - leider wurde der Erscheinungstag nicht festgehalten.
-Wüstungskarte gemäß Wolfgang Ebert kopiert.